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DDR-Flüchtling besucht die Edith-Stein-Realschule: „Mein eigentlicher Geburtstag“

Hartmut Richter hilft über 30 Menschen zur Flucht in den Westen

Im Januar 2012 besuchte Hartmut Richter, der als 18-Järiger nach West-Berlin geflohen war, unsere Schule. Die vier zehnten Klassen unserer Schule und 20 Schüler der Hauptschule hatten nach einem einführenden Film mit dem Titel „Flucht aus Berlin“ die Möglichkeit, einen Zeitzeugen der jüngsten deutsch-deutschen Geschichte zu dessen Erlebnissen zu befragen. Möglich geworden war diese Veranstaltung durch das Engagement des Sozialverband VdK-Ortsverband Selfkant und dessen Vorsitzenden Hans Soiron, der Richter bei einem privaten Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin kennengelernt hatte. Dort führt Richter heutzutage Touristen durch den ehemaligen „Stasiknast“, um Aufklärung zu betreiben, was für ihn persönlich ganz wichtig ist.

Dramatische Flucht in den Westen
Hartmut Richter erlebte als Jugendlicher den Mauerbau 1961 und erkannte ziemlich schnell, dass diese Mauer eine „Gefängnismauer und nicht etwas wie uns vorgemacht wurde, ein antifaschistischer Schutzwall“ ist, und deshalb musste er einfach fliehen. Nach einem ersten gescheiterten Fluchtversuch über die tschechische Grenze schwamm er in der Nacht vom 26. auf den 27. August 1966 eine 900 Meter weite Strecke durch den Teltow-Kanal nach Westberlin. Damals war er 18 Jahre alt und „seit diesem Jahr feiere ich dieses Datum wie ein zweites geschenktes Leben, größer als meinen eigentlichen Geburtstag“, so erzählte er den Zuhörern in unserer Aula. Wenn man bedenkt, dass er für diese relativ kurze Strecke vier Stunden gebraucht hat und sich vor Augen führt, dass es 172 Mauertote gab, die bei ihrer Flucht ums Leben kamen, dann kann man das gut verstehen.

 


 

Fünf Jahre Knast in der DDR als Fluchthelfer
Als zu Beginn der 1970er Jahre die Reisebedingungen zwischen den beiden deutschen Staaten durch das so genannte „Transitabkommen“ erleichtert wurden, war es für Richter klar, dass er seinen Freunden und Bekannten helfen würde, aus der DDR zu fliehen. Insgesamt fuhr er zwischen 1972 und 1975 dreißig Mal mit seinem Auto über die innerdeutsche Grenze und schmuggelte Menschen in den ersehnten Westen. So locker und selbstverständlich, wie Richter hiervon erzählt, hat man als Zuhörer den Eindruck, diese Fahrten seien ein Kinderspiel gewesen. Auf seiner 31. Fahrt jedoch wurde er an der Grenze heraus gewunken und musste seinen Kofferraum öffnen. Gerade auf dieser Fahrt wollte er seine Schwester und deren Verlobten über die Grenze bringen – bereits seit über einem Jahr hatte man ihn verdächtigt, sich als Fluchthelfer zu betätigen. Alle wurden erwischt. Die Folge war eine Haftstrafe von 15 Jahren. 1980 wurde er schließlich für 100.000 Mark von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft, da hatte er aber bereits fast vier Jahre in Einzelhaft in Gefängnissen in Hohenschönhausen und Bautzen eingesessen.

Kirstin Meyer zu Altenschildesche, Geschichtslehrerin Klassen 10 b und 10 d.